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H.  14 Safar 1439 No: 54
M.  Freitag, 03 November 2017

Stellungnahme zur österreichischen Nationalratswahl

Die Ergebnisse der österreichischen Nationalratswahl vom 15.10.2017 drücken in Zahlen aus, was Hizb-ut-Tahrir seit über einem Jahrzehnt thematisiert. Islamfeindliche Positionen sind in Europa nicht nur salonfähig geworden, sondern dominieren mittlerweile den öffentlichen Diskurs. Sowohl der polarisierende Wahlkampf als auch das eindeutige Resultat lassen keinen Interpretationsspielraum: Der Islam wird parteiübergreifend und in allen gesellschaftlichen Schichten als bedrohlicher Fremdkörper betrachtet, dem in seiner jetzigen Form kein Existenzrecht zugestanden werden darf.

Allen voran ÖVP-Chef Sebastian Kurz traf mit seiner populistischen Kampfrhetorik den Nerv einer hysterischen Öffentlichkeit, die nach jahrzehntelanger Agitation eine schärfere Gangart gegen den Islam verlangt. In seinem Wahlprogramm „Der neue Weg“ fordert er null Toleranz gegenüber dem politischen Islam, welcher die österreichische Gesellschaft auf verschiedene Weise bedrohe. Auf sicherheitspolitischer Ebene müsse der politische Islam als Nährboden für Gewalt und Terrorismus identifiziert und bekämpft werden: Die großen Terroranschläge auf die westliche Welt (9/11, Paris, Brüssel, Nizza, Berlin usw.) wurden von radikalen Islamisten verübt – ganz zu schweigen von den Terroranschlägen, die sich fast täglich in anderen Teilen der Welt ereignen. […] Unsere Sicherheitskräfte müssen ständig auf der Hut sein und Gefahrenpotenziale ausfindig machen. Wir haben alleine in Österreich rund 300 Personen, die sich als Terroristen im Irak oder Syrien betätigen wollten oder das tatsächlich schon getan haben. Im Sinne der Inneren Sicherheit und der Integration müsse vor allem unter jungen Muslimen ein Bewusstsein geschaffen werden, die Tendenzen des gewaltbereiten, politischen Islam im Keim [zu] ersticken. Über den sicherheitspolitischen Aspekt hinaus, wird der Islam jedoch ebenso deutlich in seinen weltanschaulichen Grundlagen anvisiert und attackiert: Der politische Islam kennt die Trennung zwischen Staat und Religion – ein Grundprinzip der westlichen, pluralistischen Gesellschaft – nicht. […] Mehrere Studien belegen, dass für bis zu 40% der Musliminnen und Muslime die Rechtsvorschriften der Religion über denen des Staates stehen, in dem sie leben. Diesen Tendenzen müssen wir in Österreich mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Konkret müsste hierfür im Strafrecht nachgeschärft und ein modifiziertes Verbotsgesetz für staatsfeindliche und unter ausländischem Einfluss stehende politische Organisationen in §246 verankert werden.

31,5% der wahlberechtigten Österreicher konnte „Die neue ÖVP“ mit identitätspolitischen Kampfansagen dieser Art abholen. Ähnlich erfolgreich ist die Bilanz der rechtspopulistischen FPÖ, die mit 26% den dritten Platz belegt und schon bald Teil einer schwarzblauen Regierung sein wird. Während sich Heinz-Christian Strache (FPÖ) vor allem über die Kopiermaschine Sebastian Kurz empörte, übernahmen selbst die Sozialdemokraten die islamfeindlichen Narrative der neuen Rechten. So bezeichnete Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) nur zwei Tage vor der Nationalratswahl die Vorstellung einer multikulturellen Gesellschaft als eine Art gutmütiger Traum, der in der Praxis völlig gescheitert sei. Statt Illusionen der Weltoffenheit und des Humanismus folgt nun reale, schmittianische „Freund-Feind-Politik“: Die Integration hat nicht funktioniert. […] Wir tun alles, um unsere Grenzen dicht zu halten.

Wie stark kulturchauvinistisches Gedankengut die österreichischen Sozialdemokraten bereits ergriffen hat, wird durch die Ausführungen des Strategieberaters und ehemaligen Haider-Vertrauten Stefan Petzner deutlich: So sei es auch möglich, dass wir eine rotblaue Koalition bekommen; eine Koalition aus Sozialdemokraten und FPÖ. Für Deutschland würde das bedeuten, dass Martin Schulz auf Bundesebene erklärt, ich bilde eine gemeinsame Bundesregierung mit dem Herrn Gauland von der AfD.[…] Wir haben […] einen Ministerpräsidenten Niessl, der bereits auf Landesebene mit der FPÖ koaliert. Dieses Lager will offensiv die Koalition mit der FPÖ. Darüber hinaus verfangen sich selbst am linksgrünen Rand des österreichischen Parteienspektrums islamfeindliche Denkmuster immer stärker. Während die Grünen mit 3,8% den Einzug in den Nationalrat knapp verfehlten, schaffte die heimatverbundene Abspaltung Liste-Pilz mit 4,4% den Sprung ins Parlament. Besonderes Merkmal dieser „Neugrünen“ ist ihr harter Kurs gegenüber dem Islam: Hätte Peter Pilz Wahlplakate in Auftrag gegeben, er hätte darauf wohl den Kampf gegen den politischen Islam beworben, so die Einschätzung des „Kurier“.

Die österreichische Nationalratswahl muss daher als Abbild der gesamtgesellschaftlichen Stimmungslage begriffen werden. Auch wenn die rechtspopulistische FPÖ ihr parteipolitisches Ziel, stärkste Kraft zu werden, erneut verfehlt hat, ist es der Neuen Rechten gelungen, den ohnehin schon antiislamischen Diskurs weiter zu verschärfen und die etablierten Parteien vor sich herzutreiben. Alternative Medien, digitale Gegenöffentlichkeiten und zielgruppengerechte Basisarbeit haben sie in die Lage versetzt, Agenda Setting in eigener Sache zu betreiben. Dieser Themenführung folgend, bestand die Antwort der „parteipolitischen Mitte“ in der Übernahme rechter Argumentationsmuster, um der öffentlichen Erwartungshaltung gerecht zu werden und den eigenen Zerfallserscheinungen entgegenzuwirken.

Hizb-ut-Tahrir ruft die Muslime Österreichs dazu auf, den Ernst der Lage zu begreifen! Wir sehen uns nicht etwa einer begrenzten Anzahl feindlicher Akteure gegenüber, viel mehr haben wir es mit einer aufgeladenen Atmosphäre und einer aggressiven Debattenkultur zu tun, die jegliche Diskursethik hinter sich gelassen hat. Die Feindseligkeit gegenüber dem Islam hat sämtliche Bereiche der Gesellschaft durchdrungen, allen voran Politik, Medien und Justiz. Angesichts dieser Bedrohungslage muss sich die islamische Gemeinschaft von dem Gedankenkorsett der systembezogenen Partizipation – bestehend aus Rechtsweg und Wahlurne – lösen und neue Wege der politischen Einflussnahme gehen. Aus diesem Grund rufen wir die Muslime Österreichs und in ganz Europa dazu auf, eine außerparlamentarische Opposition zu bilden, aufbauend auf einer klaren und unverhandelbaren Agenda. Es gilt durch starke Narrative, eigene Diskursräume, öffentlichkeitswirksame Kampagnen, starke Demonstrationen und ökonomische Druckmittel die öffentliche Meinung und die Entscheidungsprozesse wesentlicher Akteure zu beeinflussen. Hizb-ut-Tahrir ist bereit mit euch diesen Weg zu beschreiten, auf dass wir die Unversehrtheit der islamischen Identität und damit die Zukunft der nachfolgenden Generationen unserer Umma in Europa schützen können.

{يَاأَيُّهَا الَّذِينَ آمَنُوا اسْتَجِيبُوا لِلَّهِ وَلِلرَّسُولِ إِذَا دَعَاكُمْ لِمَا يُحْيِيكُمْ ۖ وَاعْلَمُوا أَنَّ اللَّهَ يَحُولُ بَيْنَ الْمَرْءِ وَقَلْبِهِ وَأَنَّهُ إِلَيْهِ تُحْشَرُونَ}

Ihr, die ihr glaubt! Folgt Allah und dem Gesandten, wenn er euch zu dem aufruft, was euch Leben spendet! Und wisset, dass Allah zwischen dem Menschen und seinem Herzen steht, und dass ihr zu Ihm versammelt werdet. [8:24]

14. Ṣafar 1439 n. H.
03.11.2017 n. Chr.

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