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H.  8 Rabi' II 1439 No: 56
M.  Dienstag, 26 Dezember 2017

Stellungnahme zur gegenwärtigen Antisemitismusdebatte in der Bundesrepublik Deutschland

Anlässlich des Auftakts zum Jubiläumsjahr 70 Jahre Staatsgründung Israel hielt Bundespräsident Steinmeier am 15. Dezember 2017 eine Ansprache in der Residenz des israelischen Botschafters. In seiner Rede monierte das Staatsoberhaupt den neuzeitlichen Antisemitismus, der in den vergangenen Tagen einmal mehr sein böses Gesicht gezeigt habe. Sein besonderes Augenmerk richtete er dabei auf die extremen Handlungen wie dem Verbrennen der israelischen Fahne und die tumben Parolen von Hass und Gewalt, die im Zuge der jüngsten Proteste vor dem Brandenburger Tor ihren Höhepunkt erreicht hätten.

Bezugnehmend auf die deutsche Geschichte und die daraus abgeleitete Staatsräson erklärte Steinmeier: Diese Verantwortung kennt keine Schlussstriche, nicht für Nachgeborene und auch nicht für diejenigen, die später hinzugekommen sind. Sie ist unverhandelbar – für alle, die in Deutschland leben und hier leben wollen! Wer also auf deutschen Plätzen die israelische Fahne in Brand setzt, der zeigt nicht nur einen unerträglichen Hass auf Israel, sondern der versteht nicht oder respektiert nicht, was es heißt deutsch zu sein. Und dann ist der deutsche Staat auch besonders gefordert, sich mit Klarheit zu bekennen und einzuschreiten, wo es notwendig ist!

Durch seine Ausführungen schlägt der Bundespräsident einen Bogen von der Geschichte des europäischen Antisemitismus hin zu Demonstrationen, in denen die illegale Okkupation und die Vertreibung eines ganzen Volkes kritisiert werden. Was vor kurzem noch als Teil einer unerhörten Verschwörungstheorie galt, hat es mittlerweile in den Kopf des deutschen Staatsoberhauptes geschafft: Die Judenverfolgung in Europa und die Existenz Israels stünden in einem monokausalen Zusammenhang. Die Zionisten wären demnach die großen Nutznießer aus dem Holocaust, da sie unter Verweis auf ihre Leidensgeschichte über jede Kritik erhaben seien. Darüber hinaus ergibt sich aus dieser undifferenzierten Vermengung zweier Ereignisse eine weitere Verantwortung, die Steinmeier in seinen Ausführungen tunlichst ausklammert: Sollte nämlich der Bundespräsident darauf bestehen, dass die Beurteilung des Nahostkonflikts vor dem Hintergrund deutscher Geschichte zu erfolgen hätte, wäre die Vertreibung, Ermordung und Erniedrigung der Palästinenser als Resultat eben dieser Historie anzusehen. Für Deutschland ergäbe sich daraus eine direkte Verantwortung für all das Unrecht, das den Palästinensern durch die Hände der Zionisten widerfährt. Würde dieses Narrativ mit all seinen Implikationen tatsächlich zur Staatsräson erhoben, dürften sich die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der islamischen Welt nachhaltig verändern. Vertriebene Palästinenser würden fortan Deutschland als Verursacher der „Nakba“ betrachten und so könnten bei künftigen Demonstrationen auch deutsche Flaggen in Flammen aufgehen.

Letzteres wäre – würde es auf deutschem Boden geschehen – gemäß § 90a Abs.1 Nr. 2 StGB tatsächlich auch eine Straftat. Im Gegensatz dazu werden ausländische Flaggen von § 104 StGB geschützt, wobei nur die Verunglimpfung von Staatssymbolen unter Strafe gestellt wird, die nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigt werden, etwa bei Sportveranstaltungen oder Tagungen. Dies schließt nach gängiger Rechtsprechung solche Flaggen aus, die von Privatpersonen selbst angefertigt wurden, um sie etwa bei einer Demonstration zu verbrennen! Ferner fordert das Bundesverfassungsgericht selbst im Falle der Verunglimpfung deutscher Staatssymbole eine fallspezifische Betrachtung, in der zwischen politischer Kritik und böswilliger Verächtlichmachung unterschieden werden muss. Um das aus Art. 5 Abs. 1 GG erwachsene Schutzbedürfnis der Machtkritik zu erhalten, dürfe der Symbolschutz in keinem Fall zur Immunisierung des Staates gegen Kritik und selbst gegen Ablehnung führen. Dass diese Rechtslage in der losgetretenen Antisemitismusdebatte kaum Berücksichtigung findet, belegt den politischen Charakter des aktuellen Diskurses. Dabei wird suggeriert, die Muslime hätten einen längst überwundenen Antisemitismus importiert und seien für die Masse antijüdischer Straftaten verantwortlich. Dies,obwohl laut Angaben des Bundesinnenministeriums 93% der im ersten Halbjahr 2017 erfolgten antisemitischen und antiisraelischen Delikte durch Rechtsextremisten begangen wurden. Bei lediglich 23 Fällen wird ein religiöser oder ausländisch motivierter Hintergrund unterstellt. Dabei handle es sich um Extremismus, der durch ausländische Themen bestimmt ist, beispielsweise durch den Palästinenserkonflikt. Die Zahlen entlarven einerseits das Hirngespinst eines importierten Antisemitismus und belegen andererseits, dass die Motivation „muslimischer Täter“ im Kern politisch und eine Reaktion auf die zionistischen Verbrechen in Palästina ist. Die von einheimischen Tätern begangenen Straftaten stehen hingegen in der europäischen Tradition des irrationalen Judenhasses!

Hizb-ut-Tahrir stellt sich vehement gegen diese unzulässige Gleichsetzung des aus einem Rassenwahn resultierenden Antisemitismus und der Kritik an den Verbrechen Israels. Letztere speist sich aus real begangenem Unrecht und dem tatsächlichen Leid unzähliger Palästinenser, während der Antisemitismus europäischer Prägung grundlos auf die totale Vernichtung des jüdischen Volkes abzielt. Sowohl der europäische Antisemitismus als auch die gegenwärtige Kriminalisierung der islamischen Weltanschauung und Lebensweise spiegeln ein und denselben Geist wieder – den Geist eurozentrischer Überlegenheitsphantasie, unfähig mit weltanschaulich andersgesinnten Menschen zu koexistieren.

{وَإِذَا قِيلَ لَهُمْ لَا تُفْسِدُوا فِي الْأَرْضِ قَالُوا إِنَّمَا نَحْنُ مُصْلِحُونَ، أَلَا إِنَّهُمْ هُمُ الْمُفْسِدُونَ وَلَكِنْ لَا يَشْعُرُونَ}

Und wenn ihnen gesagt wird: „Stiftet kein Unheil auf Erden!“, dann sagen sie: „Wir tun doch Gutes.“ Gewiss jedoch sind sie es, die Unheil stiften, aber sie empfinden es nicht. [2:11-12]

8. Rabīʿ aṯ-Ṯānī 1439 n. H.
26.12.2017 n. Chr.

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