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بسم الله الرحمن الرحيم
Im Namen Allahs, des Erbarmungsvollen, des Barmherzigen
Aus der Serie der Antworten von Scheich ʿAṭāʾ ibn Ḫalīl Abū ar-Rašta
des amīrs von Hizb-ut-Tahrir, auf die Fragen der Besucher seiner Facebook-Seite / Rubrik fiqhī.
Antwort auf eine Frage
Die Hadithe aus den Büchern der rechtsgelehrten Imame
Frage:
As-salāmu ʿalaikum wa raḥmatullāhi wa barakātuh,
Im Buch „Die islamische Persönlichkeit Teil 3“ wurde bezüglich des Hadith ḥasan (gut), nach seiner Unterteilung in zwei Arten, über die zweite Art Folgendes erwähnt:
Der Tradent muss für seine Wahrhaftigkeit (ṣidq) und Vertrauenswürdigkeit (amāna) bekannt sein, ohne die Stufe der Männer des ṣaḥīḥ zu erreichen, weil er hinter ihnen zurückbleibt. Der Hadith ḥasan wird gleichermaßen wie der Hadith ṣaḥīḥ als Beweis herangezogen. So gelten die Hadithe, die in den Büchern der Imame, ihrer Schüler und anderer Gelehrter (ʿulamāʾ) und Juristen (fuqahāʾ) erwähnt wurden, grundsätzlich als ḥasan und können als Rechtsbeweise genutzt werden. Sie zitierten ihn nämlich als Beleg für einen islamischen Rechtsspruch (ḥukm šarʿī) oder leiteten daraus einen Rechtsspruch ab. Daher handelt es sich prinzipiell um einen Hadith ḥasan, sei er in den Büchern der islamischen Methodenlehre (uṣūl al-fiqh) oder der islamischen Rechtswissenschaft (fiqh) zu finden. Dies jedoch unter der Bedingung, dass sie zu den anerkannten Werken zählen, wie das Werk al-Mabsūṭ, al-Umm, al-Mudauwana al-Kubrā und dergleichen, und nicht etwa wie die Bücher al-Bāğūrīs, aš-Šanšūrīs und ihresgleichen. Was aber die Hadithe anbelangt, die in den Büchern der Koranexegese (tafsīr) vorkommen, so wird ihnen keine Beachtung geschenkt und sie werden nicht als Beweise herangezogen, selbst wenn der Exeget (mufassir) ein Rechtsgelehrter war, der die Fähigkeit zur Rechtsableitung besaß (muğtahid). Denn der Hadith wurde zur Erläuterung eines Verses angeführt und nicht, um daraus einen Rechtsspruch abzuleiten. Zwischen beidem liegt ein Unterschied. Auch befassen sich die Koranexegeten normalerweise nicht damit, die von ihnen zitierten Hadithe zu überprüfen. Deshalb gelten die Hadithe aus den Büchern des tafsīr – anders als bei den rechtswissenschaftlichen Büchern der Imame und Gelehrten - nicht automatisch als Referenz, nur weil sie in einem tafsīr-Buch erwähnt wurden. Vielmehr ist es in diesem Fall notwendig, den Hadith zu verifizieren, auch wenn dies über den Weg der Nachahmung (taqlīd) geschieht, indem man Hadithgelehrte fragt oder auf ein anerkanntes Hadithbuch zurückgreift. (Ende des Zitats)
Die Frage lautet: Woher entnehmen wir, dass die Hadithe, welche die Rechtsgelehrten bzw. die Gelehrten des uṣūl al-fiqh in den grundlegenden Werken (ummahāt al-kutub) des fiqh bzw. uṣūl al-fiqh zitieren, als ḥasan angesehen werden? Reicht unser Vertrauen in ihren Wissensstand und ihre Stellung aus, um die Hadithe, die sie als Beweise heranführen, gewissenhaft dem Gesandten Allahs (s) zuzuschreiben, obwohl wir wissen, dass die Kompetenz der großen Imame in der Hadith-Wissenschaft unterschiedlich war?
Und wie verstehen wir die Worte von Imam aš-Šāfiʿī und anderen Imamen, die sagten: „Wenn der Hadith ṣaḥīḥ ist, dann schlagt meine Worte in den Wind!“? Gibt diese Aussage nicht einen Hinweis darauf, dass der Inhalt ihrer Ausführungen auf seine Richtigkeit und Genauigkeit hin überprüft werden soll? Und reicht es aus, den Hadith in einem der grundlegenden Bücher des fiqh und uṣūl al-fiqh zu finden, oder ist es erforderlich, dass er in mehreren solcher Bücher enthalten ist? Und wenn der Hadith in mehreren grundlegenden Büchern vorzufinden ist, müssten dann nicht andere Kriterien geltend gemacht werden, wie z. B., dass er nicht nur in mehreren Büchern derselben Rechtsschule, sondern in den grundlegenden Werken mehrerer Rechtschulen vorhanden sein sollte?
Möge Allah Ihnen beistehen!
Antwort:
Wa ʿalaikum as-salāmu wa raḥmatullāhi wa barakātuh,
Zieht ein Gelehrter oder ein anerkannter muğtahid einen Hadith für seine Beweisführung heran, dann muss er für ihn als Beleg geeignet sein. Denn wenn er aus diesem Hadith einen Rechtsspruch ableitet, muss er ihn zwingend auf den Gesandten (s) zurückgeführt haben. Es ist unvorstellbar, dass er den Hadith als Beweis anführt, obwohl er seiner Meinung nach nicht die Stufe eines gültigen Beweises erreicht. Die Tatsache, dass die Imame – insbesondere die Altvorderen unter ihnen – und die herausragenden Gelehrten den Hadith als Beweis herangezogen haben, beruhigt uns dahingehend, den Hadith für die Beweisführung genauso heranzuziehen, wie sie es taten, und ihm den Rang eines Hadith ḥasan zu geben. Und zwar aufgrund unseres Vertrauens in ihr Wissen und ihre Gottesfurcht. Jedoch bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass wir jeden Hadith akzeptieren, der in den Büchern des fiqh oder der uṣūl al-fiqh erwähnt wird. So kann es sein, dass wir einen in den Werken der Imame erwähnten Hadith überprüfen und erkennen, dass er gemäß unseren Rechtsprinzipien schwach ist, worauf wir ihn nicht als Beweis heranziehen. Es kann sogar sein, dass wir einen in den anerkannten Hadithbüchern erwähnten Hadith überprüfen, seine Schwäche erkennen und ihn als Beweis nicht verwenden.
Allerdings stellt die Annahme bzw. Zurückweisung eines Hadithes eine eigene Wissenschaft dar und erfolgt nach ganz bestimmten Prinzipien. Im Buch „Die islamische Persönlichkeit Teil 1“ steht unter dem Kapitel „Der Hadith maqbūl und der Hadith mardūd“ Folgendes:
Aus der Einteilung des Hadith bei den Hadithgelehrten in ṣaḥīḥ, ḥasan und ḍaʿīf (schwach) wird ersichtlich, dass nur der Hadith ṣaḥīḥ und der Hadith ḥasan als Rechtsbelege herangezogen werden dürfen. Der Hadith ḍaʿīf hingegen hat keine Beweiskraft. Was den Hadith als maqbūl oder mardūd gelten lässt, ist die Untersuchung seines Tradentenstrangs, der Tradenten und des Textkörpers (matn). Wenn im Tradentenstrang kein Tradent fehlt – wobei dessen Wegfall in einer Nichtbestätigung der Rechtschaffenheit münden würde – und die Rechtschaffenheit keines Tradenten in Zweifel gezogen wird, der Wortlaut nicht formulierungsschwach ist und dem Koran, der definitiv überlieferten Sunna (sunna mutawātira) oder dem definitiven Konsens der Prophetengefährten (iğmāʿ aṣ-ṣaḥāba) nicht widerspricht, dann wird der Hadithangenommen. Es wird nach ihm gehandelt und er wird als Rechtsbeleg herangezogen - sei er ṣaḥīḥ oder ḥasan.
Erfüllt der Hadith diese Eigenschaften jedoch nicht, wird er zurückgewiesen und nicht zur Beweisführung herangezogen. (…)
Deswegen darf man den Hadith nicht stur zurückweisen, wenn man ihn gemäß den Anforderungen an den Tradentenstrang (sanad), an die Tradenten und den Wortlaut (matn) annehmen kann. Insbesondere dann, wenn die meisten Gelehrten ihn angenommen haben und die Allgemeinheit der Rechtswissenschaftler ihn verwendet hat. In diesem Falle ist er es würdig, angenommen zu werden, selbst wenn er nicht alle Bedingungen des ṣaḥīḥ erfüllt, weil er dann in die Kategorie des ḥasan fällt. Genauso wie man den Hadith nicht stur zurückweisen darf, darf man ihn auch nicht leichtfertig annehmen, indem man einen Bericht, der hinsichtlich des Strangs, eines Tradenten oder seines Wortlauts zurückzuweisen ist, unbedacht akzeptiert. (Ende des Zitats)
Weiterhin erwähnen wir unter dem Kapitel „Die Heranziehung des Hadith als Beweis für die islamischen Rechtssprüche“:
Jedoch sind von den āḥād-Berichten, die als Beweis für den islamischen Rechtsspruch geeignet sind, lediglich der Hadith ṣaḥīḥ und der Hadith ḥasan heranzuziehen. Der Hadith ḍaʿīf ist keinesfalls als Rechtsbeleg geeignet. Jeder, der ihn zur Beweisführung heranzieht, hat in Wahrheit keinen Rechtsbeweis herangezogen. Allerdings erfolgt die Einstufung eines Hadith als ḥasan oder ṣaḥīḥ allein nach der Einschätzung des Beweisführenden, wenn dieser die Qualifikation zur Hadith-Verifizierung hat, und nicht nach der Einschätzung aller Hadithgelehrten (muḥaddiṯūn). Es gibt nämlich Tradenten, die bei einigen Hadithgelehrten als vertrauenswürdig gelten und bei anderen nicht. Oder sie gelten bei manchen als unbekannt (mağhūl) und bei anderen als bekannt. Auch gibt es Hadithe, die von einem Strang her als nicht richtig eingestuft wurden, jedoch ist ihre Richtigkeit über andere Stränge erwiesen worden. Es gibt auch Überlieferungsketten, die von manchen Hadithgelehrten als richtig erachtet wurden, von anderen wiederum nicht. Ebenso sind Hadithe von einigen Hadithgelehrten nicht anerkannt und in Frage gestellt worden, andere haben sie dagegen angenommen und als Beweis herangezogen. Auch existieren Hadithe, die von einigen Hadithgelehrten angezweifelt wurden, jedoch hat sie die Mehrheit der Rechtsgelehrten angenommen und als Rechtsbeleg verwendet. Genauso wie es unzulässig ist, einen Hadith übereilt zu akzeptieren, ohne seine Richtigkeit zu untersuchen, ist es auch unzulässig, einen Hadith übereilt anzufechten und zurückzuweisen, nur weil einer der Hadithgelehrten einen Tradenten in dessen Kette anzweifelt. So kann es sein, dass ein anderer Hadithgelehrter ihn anerkannt hat oder dass die Imame und die Allgemeinheit der Gelehrten den Hadith als Rechtsbeleg heranziehen. Man muss also mit Bedacht vorgehen und den Hadith genau untersuchen, bevor man ihn anzweifelt oder zurückweist. Und wer die Tradenten und ihre Hadithe verfolgt, wird erkennen, wie sehr die Meinungen dazu unter den Hadithgelehrten auseinandergehen. Es gibt sehr zahlreiche Beispiele dafür.
So berichtet z. B. Abū Dawud von Amr ibn Šuʿaib und dieser von seinem Vater und Großvater, der sagte: Es sprach der Gesandte Allahs (s):
«المؤمنون تتكافأ دماؤهم، ويسعى بذمتهم أدناهم، ويجير عليهم أقصاهم، وهم يد على من سواهم، يرد مشدهم على مضعفهم، ومتسريهم على قاعدهم»
Das Blut der Muslime ist gleichwertig. Ihre Vertragsverpflichtung gilt auch für den Geringsten unter ihnen. Das Schutzversprechen des Entferntesten von ihnen ist für sie alle bindend. Als eine Hand gehen sie gegen andere vor. Der Starke unter ihnen teilt (die Beute) mit dem Schwachen und der in die Schlacht Ziehende mit dem Zurückgebliebenen. Der Überlieferer dieses Hadith ist ʿAmr ibn Šuʿaib. Hinsichtlich des Strangs von ʿAmr ibn Šuʿaib über seinen Vater und Großvater gibt es eine bekannte Kritik. Trotzdem haben viele seinen Hadith als Beleg herangezogen, andere haben ihn abgelehnt. (Ende des Zitats)
Daher wird ein Hadith, den die anerkannten Rechtsgelehrten und Gelehrten des uṣūl al-fiqh verwenden, grundsätzlich als ḥasan angesehen. Um einen Hadith, den sie in ihren Büchern anführen, als ḥasan zu erachten, ist es nicht zwingend notwendig, dass er in vielen Büchern erwähnt wird. Es genügt, wenn der Hadith in einer Häufigkeit vorkommt, die uns das Vertrauen gibt, dass die Beweisführung damit gültig ist. Jedoch erhöht sich das Vertrauen, ihn als Beleg heranzuziehen, wenn er in vielen Büchern und in verschiedenen Rechtsschulen zitiert wurde.
Was die Aussage von aš-Šāfiʿī betrifft, so ist sie korrekt und widerspricht nicht unseren Darlegungen. So betrachten wir den Hadith, aus dem die anerkannten Gelehrten einen Rechtsspruch abgeleitet haben, als ḥasan, solange kein Hadith ṣaḥīḥ vorhanden ist, der stärker ist. Ansonsten beurteilen wir die Beweise gemäß den geltenden Prinzipien hinsichtlich der Harmonisierung bzw. der Abwägung von Rechtsbelegen (al-ğamʿ wa at-tarğīḥ) wie es aus den entsprechenden Kapiteln des uṣūl al-fiqh bekannt ist.